Teil 4 der Blogserie zur evidenzbasierten Praxis
Evidenzbasierte Praxis bedeutet nicht nur, sich auf existierende Studien zu stützen – jede:r Ergotherapeut:in kann aktiv dazu beitragen, dass unser Berufsfeld wissenschaftlich fundierter und nach außen hin sichtbarer wird. Doch wie genau kann das gelingen?
Der Schlüssel liegt in einer systematischen und nachvollziehbaren Arbeit und einer klaren und überzeugenden Kommunikation unserer Perspektive nach außen. Dieser Beitrag zeigt dir konkrete Wege, wie du deine Arbeit auf ein neues Niveau heben kannst.
1. Systematische Befunderhebung und Dokumentation
Die Qualität unserer therapeutischen Arbeit wird maßgeblich davon beeinflusst, wie objektiv und zuverlässig unsere erhobenen Befunde sind und wie klar und verständlich die Dokumentation unserer Arbeit ist. Subjektive Einschätzungen reichen nicht aus – standardisierte Verfahren und objektive Daten sind der Schlüssel, um den Ansatzpunkt einer individuellen, effektiven Präszisionstherapie festzulegen.
Konkrete Umsetzung:
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Nutze evidenzbasierte Befundinstrumente wie die EASI oder das SPM-2, um sensorische Verarbeitungsstörungen differenziert zu erfassen.
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Dokumentiere Veränderungen anhand messbarer Parameter, um Therapieerfolge sichtbar zu machen.
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Erstelle strukturierte Verlaufsprotokolle, die laufend eine datengeleitete Anpassung der Therapie ermöglichen.
2. Schlüssige und verständliche Berichte schreiben
Ein klar strukturierter Bericht ist nicht nur für deine eigene Dokumentation wichtig, sondern auch für alle, die mit der Klient:in arbeiten, z.B. die zuweisende Ärzt:in oder ein:e Psycholog:in oder Logopäd:in. Ein guter Bericht zeigt nachvollziehbar auf, was erhoben wurde und beantwortet aus ASI-Perspektive die Frage, ob und wie die sensorischen Auffälligkeiten die Alltagsprobleme erklären können.
Konkrete Umsetzung:
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Verwende eine klare Struktur, die Befunderhebung – - objektive Ergebnisse - Interpretation aus ASI-Perspektive – Handlungsempfehlungen enthält.
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Vermeide Fachjargon, wenn dein Bericht für Außenstehende gedacht ist, aber liefere trotzdem präzise, wissenschaftlich fundierte Informationen.
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Formuliere klare Hypothesen und Zusammenhänge: v.a. der Zwischenschritt, zu welchen Funktionen ein Sinnessystem beiträgt und wie eine sensorische Verarbeitungsstörung daher die Alltagsbewältigung und Partizipation beeinträchtigt, ist in einem SI-Befund entscheidend, damit Außenstehende den Therapieansatz nachvollziehen können.
Beispiel: Das Kind kommt wegen Schreibproblemen. In unserer Befunderhebung finden wir ein vestibuläre Verarbeitungsstörung, die mit Problemen der Aufmerksamkeit, des stabilen Blickfeldes, der Aufrichtung gegen die Schwerkraft, der bilateralen Integration und der räumlichen Orientierung einhergeht. Werden diese Funktionen im Befundbericht nicht erwähnt, dann ist der Zusammenhang, warum die Therapie dieses Kindes viel Schaukeln enthalten sollte, für Außenstehende nicht nachvollziehbar.
3. Keine Scheu, die ASI-Perspektive in Teams einzubringen
In interdisziplinären Teams kann es eine Herausforderung sein, die ASI-Perspektive verständlich und überzeugend darzustellen. Oft sind Mediziner:innen oder Psycholog:innen stärker auf klassische Diagnosen fokussiert, während die ergotherapeutische Sichtweise auf sensorische Verarbeitung für sie weniger greifbar ist. Hier braucht es Selbstbewusstsein und eine präzise Argumentation!
Konkrete Umsetzung:
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Bereite dich auf Teamsitzungen gezielt vor: Welche harten Fakten aus deinen Befunden unterstützen deine Sichtweise?
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Nutze Vergleiche und alltagsnahe Beispiele: Wenn du erklärst, dass ein Kind mit taktiler Überempfindlichkeit tägliche Herausforderungen wie das Anziehen oder Händewaschen als hochgradig belastend empfindet, wird das Problem greifbarer.
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Zeige Lösungsmöglichkeiten auf: Beschreibe nicht nur Probleme, sondern biete konkrete Interventionen an, die helfen können.
4. Fachartikel schreiben und veröffentlichen
Viele Therapeut:innen haben wertvolle Erkenntnisse, die über ihre eigene Praxis hinaus relevant sind – doch diese bleiben oft mit der eigenen Dokumentation im Schrank oder im Austausch mit dem unmittelbaren Team stecken. Ein Fachartikel oder eine Veröffentlichung kann ein effektiver Weg sein, die eigene Expertise zu teilen und gleichzeitig die Sichtbarkeit der ASI-basierten Ergotherapie (ET-ASI®) zu erhöhen.
Konkrete Umsetzung:
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Schreibe einen Erfahrungsbericht über eine besonders erfolgreiche Intervention oder über ein innovatives Vorgehen in deiner Praxis.
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Reiche einen Beitrag für ein Fachmagazin oder einen Blog ein – das kann auch eine niedrigschwellige Möglichkeit sein, um erste Veröffentlichungen zu machen.
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Vernetze dich mit Kolleg:innen, die bereits publiziert haben, um Unterstützung beim Schreibprozess zu bekommen.
5. Eine eigene Fallstudie veröffentlichen
Du hast eine:n Klient:in, deren Therapieerfolg besonders spannend oder lehrreich ist? Dann könnte eine Fallstudie der perfekte Weg sein, um dein Wissen zu teilen!
Im nächsten Beitrag dieser Serie werden wir uns genau anschauen, wie man eine Fallstudie schreibt – von der Auswahl des Falls über die Struktur bis hin zur Veröffentlichung.
Fazit
Evidenzbasierte Praxis ist nichts, was nur „die Wissenschaft“ betrifft – wir alle können aktiv dazu beitragen, dass unsere Arbeit sichtbarer, fundierter und überzeugender wird. Durch strukturierte Befunde, klare Berichte, den Mut zur interdisziplinären Diskussion und die Veröffentlichung eigener Erkenntnisse stärken wir nicht nur unser Berufsbild, sondern auch die Therapiequalität für unsere Klient:innen.
Und das kannst du tun:
Setze dir das Ziel, in den nächsten Wochen einen Bereich deiner Praxis systematischer anzugehen – sei es eine präzisere Dokumentation, die Überarbeitung deines Berichtschemas oder das Einbringen deiner Erkenntnisse im interdisziplinären Team. Jeder Schritt hin zu mehr Evidenz bringt dich und unser Fachgebiet weiter!
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