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Drei Mythen über Sensorische Integration – Ein Blick auf die Fakten

Die Sensorische Integration nach Ayres (ASI®) ist ein etablierter Therapieansatz in der Ergotherapie, der seit über 50 Jahren erforscht und weiterentwickelt wird. Dennoch halten sich in Fachkreisen hartnäckig bestimmte Irrtümer, die auch heute noch in der Ausbildung und Praxis weitergegeben werden. Drei besonders verbreitete Mythen sind:

 

Mythos 1: Sensorische Integration ist nicht betätigungsorientiert.

Mythos 2: Sensorische Integration ist nicht klientenzentriert.

Mythos 3: Sensorische Integration ist nicht evidenzbasiert.

 

Dieser Artikel beleuchtet, warum diese Annahmen nicht zutreffen und welche wissenschaftlichen Grundlagen die ASI®Therapie tatsächlich hat.

 

Mythos 1: Sensorische Integration ist nicht betätigungsorientiert

Immer wieder hört man den Vorwurf gegenüber ASI® ist, dass dieser Ansatz sich primär auf sensorische Verarbeitung konzentriere und nicht auf alltagsrelevante Betätigungen.

 

Fakt ist: Ausgangspunkt und Ziel der Ergotherapie nach dem ASI®Ansatz ist die Verbesserung der Partizipation des Kindes im Alltag. Die Therapie beginnt mit einer detaillierten Befunderhebung auf der Partizipationsebene, bei der standardisierte Assessments (z.B. EASI – Evaluation in Ayres Sensory Integration) eingesetzt werden, um zu analysieren ob den Alltagsproblemen sensorische Integrationsstörungen zugrunde liegen. Wie wir wissen, ist dies bei 6-15% der Kinder der Fall, und allein bei der Diagnose "Entwicklungsbedingte Koordinationsstörung" sind an die 80% sensorisch verursacht.

Die therapeutischen Ziele werden direkt aus den Alltagsproblemen des Kindes abgeleitet und darauf ausgerichtet, die Betätigungskompetenz zu verbessern (Schaaf & Mailloux, 2015). Die Messung der individuellen, alltagsbezogenen Therapieziele erfolgt durch Instrumente wie COPM oder GAS.

 

Die Therapie erfolgt nicht durch Fertigkeitstraining, sondern durch die Auslösung adaptiver Reaktionen durch kontrollierte Sinnesreize in verschiedensten Situationen, wodurch die Hirnfunktion geordneter, Fähigkeiten verbessert und das Verhalten des Kindes angepasster an verschiedenste herausforderungen im Alltag wird. Es entstehen nachhaltige Veränderungen in der Handlungsfähigkeit – ein zentrales Merkmal betätigungsorientierter Ergotherapie.

 

Mythos 2: Sensorische Integration ist nicht klientenzentriert

Ein weiteres Missverständnis ist, dass ASI®-Therapie standardisiert ablaufe und zu wenig auf individuelle Bedürfnisse der Klient:innen eingehe.

 

Fakt ist: ASI® ist ein hochgradig klientenzentrierter Ansatz, und zwar sowohl bei der Zielformulierung als auch in der Therapie selbst. Die Therapieziele werden gemeinsam mit den Eltern und dem Kind erarbeitet und an die individuellen Herausforderungen und Stärken angepasst. Die eingesetzten Therapiemaßnahmen basieren auf intrinsisch motivierenden, spielerischen Aktivitäten, die genau auf die sensorischen Bedürfnisse des Kindes abgestimmt sind.

 

Das ASI® Fidelity Measure stellt sicher, dass die Therapie individualisiert und alltagsrelevant ist und sich an den persönlichen Interessen des Kindes orientiert (Parham et al., 2011). Zudem beinhaltet ASI® eine kontinuierliche Elternberatung, um den Transfer der Therapie in den Alltag zu unterstützen (Schaaf & Mailloux, 2015).

 

Mythos 3: Sensorische Integration ist nicht evidenzbasiert

Noch immer wird ASI® von einigen Fachkräften als „nicht wissenschaftlich fundiert“ angesehen oder verbreitet, dass es zu ASI® "keine Forschung" gäbe.

 

Fakt ist: Tatsächlich waren die Ergebnisse der vielen Wirksamkeitsstudien zum Thema Sensorische Integration, die es auch schon vor 2010 gab, meist gemischt. Grund war, dass unter dem Begriff "Sensorische Integration" alle möglichen Interventionen zusammengeworfen wurden, von echter SI-Therapie bis zu Gewichtswesten oder Sitzbällen, die Pädagog:innen im Unterricht einsetzten. Ein gutes Beispiel für so eine Studie ist Lang et al. (2012). Seit der Einführung des ASI® Fidelity Measure (Parham et al. 2007, 2011) und der zunehmenden Anzahl an methodisch hochwertigen Studien erfüllt ASI® seit mehreren Jahren die Kriterien namhafter Organisationen für eine evidenzbasierte Praxis.

 

In einem viel beachteten systematischen Review des National Clearinghouse on Autism Evidence and Practice (Steinbrenner et al. 2020) wurde ASI® als evidenzbasierte Intervention für Kinder mit Autismus anerkannt. Wichtige randomisierte kontrollierte  Studien (RCTs) stammen von Schaaf et al. (2018, 2025). Sie konnte auf höchst objektive Weise zeigen, dass ASI® signifikante Verbesserungen in der sensorischen Verarbeitung und der Partizipation von Kindern mit sensorischen Integrationsproblemen bewirkt.

 

Die wissenschaftliche Datenlage belegt klar, dass ASI® eine nachweislich wirksame ergotherapeutische Methode ist.

 

Fazit: Sensorische Integration als moderner Therapieansatz

Diese drei Mythen halten sich in der Fachwelt, obwohl die aktuelle wissenschaftliche Evidenz sie längst widerlegt hat. ASI® ist betätigungsorientiert, klientenzentriert und evidenzbasiert – und mit seiner Berücksichtigung aktuellster neurobiologischer Erkenntnisse ein hochaktueller Ansatz in der Ergotherapie.

 

Wer sich tiefer mit der Forschung und Praxis von ASI® befassen möchte, findet in unserem Blog weiterführende Artikel und kostenlose Lernangebote. Wenn du dich locker über SI austauschen möchtest, kannst du dies in unserer nächsten Happy Hour am vierten Freitag des Monats tun, und wenn du dich mehr mit Forschungsliteratur beschäftigen möchtest (auf Deutsch!), dann nimm doch am ASI Study Club, einem monatlichen, kostenlosen Angebot der GSIÖ  für SI-Interessierte, teil! 

 

📌 Mehr Informationen: www.sensorische-integration.org

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