Die Theorie der Sensorischen Integration (SI) wurde vor rund 50 Jahren von der Ergotherapeutin und Psychologin Dr Jean Ayres in Kalifornien entwickelt und hat seitdem weltweite Verbreitung über die Ergotherapie hinaus gefunden. Die Theorie und Praxis von Ayres' Sensorischer Integration (ASI®) wird weiterhin vor Ergotherapeut:innen erforscht und entwickelt.
Wie Ayres zeigen konnte, spielen sensorisch-integrative Funktionen eine entscheidende Rolle für die kindliche Entwicklung. Mit kindlicher Entwicklung sind viele Fachdisziplinien beschäftigt. Sollen sie alle Sensorische Integration durchführen?
Eigentlich wäre es toll, wenn alle Berufsgruppen eine "sensorische Brille" hätten und die Entwicklung und das Verhalten von Kindern dadurch viel besser verstehen könnten! Allgemeines Wissen um diese Perspektive und das Verständnis für die Auswirkungen der Störungen könnte wirklich nur von Vorteil sein! Was hingegen keine andere Berufsgruppe so wie Ergotherapeut:innen kann, ist Ayres' Sensorische Integrationstherapie durchzuführen - geht es bei diesem klientenzentrierten und betätigungsorientierten Ansatz doch um sinnvolles Handeln als Mittel und Zweck, was laufende Aktivitätsanalysen verlangt, eine Spezialität der Ergotherapie. Dr Ayres hat die Sensorische Integrationstherapie aus der Ergotherapie heraus , für die Ergotherapie entwickelt. Sie selbst sagte: "Sensory Integration is a speciality of Occupational Therapy." In manchen Ländern werden auch zahlreiche Physiotherapeutinnen und Logopädinnen als ASI®Practitioner zertifiziert. Sie setzen die ASI®Prinzipien dann in ihrem beruflichen Kontext um, mit Schwerpunkt auf Motorik oder Sprache.
Pädagog:innen sind eine weitere Berufsgruppe mit großem Interesse an der Sensorischen Integration. Kein Wunder, sind sie doch unmittelbar mit der Förderung der frühkindlichen Entwicklung beauftragt. Leider gibt es SI-Weiterbildungen, die den teilnehmenden Pädagog:innen suggerieren, dass sie mit ihrer Weiterbildung SI-Therapie anbieten könnten. Dies ist nicht nur unrichtig, sondern sogar ungesetzlich. Die Arbeit mit Personen mit krankheitswertigen Störungen ist nämlich Gesundheitsberufen vorbehalten. Auch wenn Pädagog:innen also keine SI-Therapie anbieten können und dürfen, ist es ein wichtiges Anliegen, dass möglichst viele Elementarpädagoginnen (Kindergärtner:innen und Volksschullehrer:innen) in ASI® weitergebildet sind, die Theorie und die ASI-Prinzipien kennen und in ihrem beruflichen Setting anwenden können.
In diesem Blogbeitrag schauen wir uns die Unterschiede genauer an und zeigen, wie beide Ansätze zusammenwirken können, um Kinder optimal zu unterstützen.
Was ist SI-Therapie?
Die sensorische Integrationstherapie ist ein spezialisierter Bereich der Ergotherapie, wobei in der ergotherapeutischen Befundung und Behandlung vorwiegend der ASI®-Ansatz (Ayres Sensory Integration) eingesetzt wird. Diese Therapieform setzt auf eine individualisierte Behandlung und kann nur von Therapeut:innen (Ergo-, Physio-, Logo) mit spezieller Zusatzausbildung zum ASI®Practitioner durchgeführt werden.
Kernaspekte der SI-Therapie:
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Befundung: Vor Beginn der Therapie muss ein umfassender Befund erstellt werden, der die sensorische Empfindlichkeit (Reaktivität), Perzeption und die Praxie beurteilt und die Frage beantwortet, ob und welche Art von sensorischen Verarbeitungsprobleme bei dem Kind vorliegen und ob sie die Alltagsprobleme des Kindes erklären können.
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Intervention: Die Intervention setzt sich aus 3 Säulen zusammen: der Aufklärung der Eltern und der Umwelt, der direkten Behandlung im klinischen Setting und der Versorgung mit Kompensationsstrategien zusammen. Der Wirkmechanismus der direkten Therapie sind anpassende Reaktionen, die von kontrolliertem sensorischen Input ausgelöst werden und die Organisation des Gehirns und die sensorische Verarbeitung nachhaltig optimieren. Die direkte Therapie wirkt also gezielt und unmittelbar auf das Gehirn ein und zielt darauf ab, langfristig die Funktion des Gehirns zu verbessern.
SI in der Pädagogik
Im pädagogischen Setting findet die Anwendung von SI-Prinzipien meist in der Gruppe statt. Es wird auch keine Befundung durchgeführt, sehr wohl aber sollten Pädagog:innen einen begründeten Verdacht auf das Vorliegen einer SI-Störung äußern und das Kind an eine qualifizierte Ergotherapeutin zur detaillierten Befundung schicken können. Meist werden in Kindergärten und Regelschulen sensomotorisches Lernen und sensomotorische Förderung sowie allgemeine sensorische Strategien genutzt, um den Alltag zu erleichtern und herausfordernde Situationen besser zu bewältigen.
Kernaspekte der SI in der Pädagogik:
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Sensomotorische Förderung: Bewegungsangebote wie Balancieren, Klettern oder Schaukeln können Kindern helfen, ihre sensorischen Grundbedürfnisse zu erfüllen.
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Kurzfristige Erleichterung: Strategien wie Bewegungspausen, taktile Materialien oder sensorische Ecken (z. B. mit Knete, Sand oder Gewichtsdecken) können den Fokus oder die Ruhe der Kinder kurzfristig verbessern.
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Individueller Blick: Auch in der Gruppe ist es wichtig, genau hinzuschauen: Welches Kind braucht gerade mehr Ruhe, welches mehr Bewegung?
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Kooperation mit Therapeut:innen: Ergotherapeut:innen können pädagogische Fachkräfte beraten und Hilfsmittel empfehlen. Zudem begleiten sie die Umsetzung sensorischer Strategien in der Schule oder im Kindergarten.
Unterschiede auf einen Blick
Aspekt | ASI-Therapie | SI in der Pädagogik |
---|---|---|
Zielgruppe | Einzelne Kinder mit spezifischen Bedürfnissen | Gruppen von Kindern |
Durchführung | Ergotherapeut:innen (ASI® Practitioner) | Pädagog:innen mit Beratung durch Therapeut:innen |
Ansatz |
Individualisiert und langfristig, situations- übergreifend |
Allgemein und kurzfristig, situationsbezogen |
Schwerpunkt | Verbesserung der Hirnfunktion | Förderung des Lernens, Erleichterung im Alltag |
Hilfsmittel | Diagnostisch begründet | Situativ angepasst |
Wie beide Ansätze zusammenwirken
Die SI-Therapie und die pädagogische Anwendung von SI-Prinzipien ergänzen einander zum Wohle des Kindes. Während die Therapie nachhaltige Vereserungen der hirnfunktion anstrebt, sorgt die pädagogische Umsetzung für Entlastung und Unterstützung im Alltag.
Ergotherapeut:innen können Pädagog:innen gezielt beraten, wie sie sensorische Strategien effektiv einsetzen und auf individuelle Bedürfnisse in der Gruppe eingehen können. Umgekehrt liefern die Beobachtungen aus dem pädagogischen Alltag wertvolle Hinweise für die Therapie.
Fazit
Sensorische Integration ist ein Schlüssel für die kindliche Entwicklung, was die Pädagogik bei allen Kindern verstehen und fördern sollte. Pädagog:innen sind oft die Ersten, die einen Verdacht auf eine SI-Störung erkennen und den Eltern mitteilen. Sie können selbst keine Behandlung durchführen, sondern sollten Kontakte zu vertrauenswürdigen, gut qualfizierten Ergotherapeut:innen haben, an die sie Verdachtskinder überweisen können. Wenn nach einer Befundung eine Therapie indiziert ist, ist ein Austausch und eine Zusammenarbeit zwischen Ergotherapeut:in und Pädagog:in im besten Interesse des Kindes, damit die ASI®Prinzipien auch im Alltag weitgehend umgesetzt werden.
Arbeitest du mit Ergotherapeut:innen bzw. Pädagog:innen zusammen? Wie sind deine Erfahrungen mit dieser Zusammenarbeit - auf der Systemebene und auf der persönlichen Ebene?
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