Es gibt Tage, da scheint es, als hätte Tom einen Turbo-Antrieb eingeschaltet, während Marius sich kaum aus seinem Schneckenhaus locken lässt. Beide Extreme sind herausfordernd – für die Kinder selbst und für uns, die wir mit diesen Kindern leben und arbeiten. Aber kennst du die sensorischen Strategien, die helfen können, die emotionale und körperliche Balance wiederzufinden?
Hier erfährst du, wie du Kindern helfen kannst, ihre Regulation und Selbstregulation spielerisch zu verbessern.
Was ist (Selbst-)Regulation eigentlich?
Regulation bedeutet, dass ein Kind in der Lage ist, sein Aktivitätsniveau und seine Emotionen an die jeweilige Situation anzupassen. Ein Kind, das gut reguliert ist, kann nach dem Toben zur Ruhe kommen oder sich auf eine Aufgabe konzentrieren, auch wenn es um es herum laut ist. Selbstregulation geht einen Schritt weiter: im Laufe der frühen Kindheit lernt das Kind, sich selbst zu helfen, wenn es merkt, dass es überfordert, ängstlich oder überdreht ist.
Viele Kinder tun sich schwer mit der Regulation – sei es, weil sie eine sensorische Verarbeitungsstörung haben, oder weil der Alltag einfach zu viele Reize bietet. Hier kannst du ansetzen, um ihnen mit gezielten sensorischen Strategien zu helfen.
Warum sind sensorische Strategien so wirksam?
Auf SI spezialisierte Ergotherapeutinnen haben sich schon früh mit dem Thema Regulation beschäftigt, weil es so eng mit sensorischer Integration zusammenhängt. Nur zwei Beispiele sind Gretchen Dahl Reeves, die 1998 einen spannenden Artikel mit dem Titel "Von der Zelle zum System: Die neuronale Regulation von Emotionen und Verhalten" veröffentlicht hat, und Georgia DeGangi, die 2017 ein ganzes Buch zu Regulationsstörungen veröffentlicht hat.
Die Sinne sind der direkte Draht ins Gehirn – und damit auch zur Regulation des Wachheits- und Aktivitätszustandes und unserer Gefühlswelt. Sensorische Reize können beruhigen, aktivieren oder stabilisieren. Das Schöne: Du kannst diese Reize ganz einfach im Alltag einbauen. Kinder merken oft intuitiv, was ihnen hilft, aber manchmal brauchen sie einen kleinen Anstupser.
Praktische Strategien für den Alltag
Wie immer in Ayres' SI gehen wir davon aus, dass das sichtbare Verhalten nur ein Ausdruck con unsichtbaren Prozessen im Gehirn ist. Diese Prozesse wollen wir beeinflussen. Hier sind ein paar Anregungen, wie du sensorische Strategien nutzen kannst, um Kinder bei der Regulation zu unterstützen:
1. Beruhigung bei Unruhe und Übererregung
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Schwere Decken, Matten oder Kissen: Tiefer Druck wirkt im allgemeinen beruhigend auf das Nervensystem. Dies wurde in mehreren Studien an Menschen (auch Erwachsenen) und Tieren gezeigt. Lege schwere Kissen oder Matten auf das Kind (Gesicht bleibt frei, Kind behält natürlich die Kontrolle) oder lass es sich zwischen Sofakissen quetschen.
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Langsame, rhythmische Bewegungen: sanftes Wippen oder Wiegen in einem Schaukelstuhl oder einer Hängematte wirkt wie Balsam für ein aufgeregtes Gehirn.
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Weißes Rauschen: Hintergrundgeräusche wie Meeresrauschen oder Regen können helfen, den Geist zur Ruhe zu bringen.
2. Aktivierung bei Müdigkeit oder Passivität
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Bewegungsspiele: Gleichgewichtsanregung hat einen direkten Einfluss auf unseren Wachheitszustand. Diesen Zusammenhang kennen wir alle und nutzen ihn auch intuitiv, wenn wir Babies zum einschlafen oder Wachwerden bringen wollen. Also Schaukeln und Drehen in allen Raumrichtungen, intensiv und rasch wechselnd, sind die wirkungsvollste Option. In abgeschwächter Form können Hüpfspiele, Rennen oder mit Fahrzeugen fahren das Gehirn aktivieren.
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Kalte Reize: Ein kalter Waschlappen im Gesicht , ein Eiswürfel zum Lutschen oder ein Schluck kaltes Mineralwasser (prickelnd) sind schnelle Muntermacher.
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Vibrierende Spielzeuge: Sie sprechen die tiefen taktilen Rezeptoren an und können anregend wirken.
3. Stabilisierung in überfordernden Momenten
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Fummelspielzeuge wie Stressbälle, Pop-Spielzeuge, Knete (Knetradiergummi!), Perlen auffädeln oder Papier falten können helfen, den Fokus zurückzugewinnen.
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Propriozeptive Anregung: Lass das Kind etwas Schweres tragen oder ziehen – zum Beispiel einen Korb mit Büchern, sein eigenes Körpergewicht (Tischaufstütz, Stuhlaufstütz oder "Popcorn-Maschine"). Auch Kaugummikauen gehört zu den propriozeptiven Strategien, wobei das Kind 2-3 zukerfreie (härtere) Kaugummis auf einmal kauen sollte, um die Kaumuskulatur wirklich arbeiten zu lassen.
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Atemübungen: Tiefe, langsame Atemzüge können in stressigen Situationen Wunder wirken. Mach die Übung mit dem Kind gemeinsam, damit es sich besser darauf einlassen kann.
Wie du Kinder zur Selbstregulation führst
Die wichtigste Regel: Hab Geduld. Selbstregulation ist ein Lernprozess, der Zeit braucht. Du kannst das Kind dabei unterstützen, indem du ihm immer wieder zeigst, welche Strategien ihm helfen können. Hier ein paar Tipps:
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Signale erkennen: Hilf dem Kind, die Signale seines eigenen Körpers zu verstehen. Sag zum Beispiel: „Ich sehe, dass du zappelig bist. Hast du das auch bemerkt? Was könnten wir zur Beruhigung tun? Lass uns einmal tief durchatmen.“
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Strategien ausprobieren: Biete verschiedene Möglichkeiten an und findet gemeinsam heraus, was funktioniert.
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Positive Verstärkung: Lob das Kind, wenn es selbst eine Strategie ausprobiert, auch wenn der Erfolg nicht sofort sichtbar ist.
Fazit
Mit sensorischen Strategien kannst du Kindern helfen, ihre Regulation und Selbstregulation zu verbessern – und das auf eine spielerische und natürliche Weise. Egal ob Bewegung, Berührung oder Atmung: Es gibt für jedes Kind passende Ansätze. Das Beste daran? Diese kleinen Tricks funktionieren nicht nur bei Kindern – probier sie auch mal für dich selbst aus!
Hast du schon Erfahrungen mit sensorischen Strategien gemacht? Ich freue mich über deine Tipps und Geschichten in den Kommentaren!
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