Kennst du das? Ein Kind in deiner Gruppe oder Therapiestunde kann einfach nicht stillsitzen, während ein anderes sich am liebsten unter einer Decke verkriechen würde. Vielleicht fragst du dich: Warum sind Kinder so unterschiedlich, wenn es um Bewegung, Berührung oder Lärm geht? Hier kommt die sensorische Integration ins Spiel – ein spannendes Thema, das dir helfen kann, diese Unterschiede besser zu verstehen und zu unterstützen.
Was sind sensorische Grundbedürfnisse?
Jede:r von uns nimmt die Welt über ihre Sinne wahr: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berührungssinn – klar, das kennen wir alle. Aber da gibt es noch mehr: den Muskelsinn (Propriozeption) und das Gleichgewichtssystem (Vestibulärsystem). Vor allem die körpernahen Sinne Berührungs-, Gleichgewichts- und Muskelsinn helfen Kindern, ihren Körper wahrzunehmen, sich zu bewegen und sich sicher in ihrer Umgebung zu fühlen.
Ein Kind hat einen großen Bewegungsdrang, sein Gehirn verlangt nach einer größeren Menge an Gleichgewichtsreizen wie Drehen, Schaukeln oder Springen, um richtig aktiv zu sein und sich wohlzufühlen. Vielleicht ist dieses Gehirn "schwerhörig" für Gleichgewichtsreize? Ein anderes Kind nutzt jede Möglichkeit für Kraftaktivitäten – es schiebt, zieht, hängt und springt. Bis zu einem gewissen Grad ist das völlig normal und zeigt dir, was das Kind gerade braucht, um gut im Alltag zurechtzukommen. In Zeiten von erhöhter Belastung oder Stress kann das Bedürfnis nach diesen organisierenden Sinneserfahrungen höher sein.
Warum ist es wichtig, die sensorischen Bedürfnisse im Alltag zu erfüllen?
Stell dir vor, du versuchst, ein Buch zu lesen, während neben dir jemand laut trommelt. So ungefähr kann sich ein Kind fühlen, dessen sensorische Bedürfnisse gerade nicht erfüllt sind. Wenn Kinder nicht die Reize bekommen, die sie brauchen, können sie unruhig, ängstlich oder überfordert wirken. Andersherum: Wenn die Sinne optimal genährt werden, können Kinder sich besser konzentrieren, entspannen und mit anderen interagieren.
Wie kannst du sensorische Grundbedürfnisse im Alltag erfüllen?
Hier sind ein paar einfache Ideen, die du sofort umsetzen kannst:
1. Bewegungsangebote schaffen
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Schaukeln und Drehen: Kinder, die viel Gleichgewichtsanregung brauchen, profitieren von Aktivitäten, bei denen sich der Kopf rasch im Raum bewegt wie Schaukeln, Rutschen, Drehen auf einem Bürostuhl, einer eingedrehten Schaukel oder Hängematte oder einem Spielplatzkarussell, Rennen und Hüpfen und fahren mit Fahrzeugen. Diese Aktivitäten liefern dem Gleichgewichtssystem verstärkten Input.
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Kraftaktivitäten: Kinder, die viel Input für ihre Muskeln brauchen, profitieren von Aktivitäten, bei denen sie sich körperlich anstrengen müssen wie Klettern, Hängen, Trampolinspringen, schwere Objekte ziehen und schieben, Haushaltsaktivitäten, Gartenarbeit wie Graben und Holzarbeiten. Diese Aktivitäten liefern dem Gehirn verstärkten propriozeptiven Input von den Muskeln, was eine regulierende Wirkung hat.
2. Ruhige Zonen einrichten
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Kuschelecke: Die meisten Kinder brauchen viel mehr Rückzugsmöglichkeiten als es Kindergärten heutzutage vorsehen. (Meine klassische Frage: Kennst du einen einzigen Erwachsenen, der es liebt, im Großraumbüro zu arbeiten? Unseren Jüngsten muten wir diese Umgebung oft mehr als 40 Wochenstunden zu.) Schaffe mindestens eine reizarme Nische oder Höhle mit schweren Kissen, Decken oder sogar einer Gewichtsdecke oder einem Gewichtstier. Wichtig ist, dass die Kinder diesen Ort je nach Bedürfnis aufsuchen dürfen und nicht nach einem von Erwachsenen ausgedachten Plan. Natürlich können Kinder im Kindergartenalter ihren eigenen Zustand oft nicht richtig beurteilen und sie brauchen daher den Hinweis oder die Anregung der Pädagog:in.
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Lärmschutz: Normale Ohrenschützer oder spezielle Lärmschutzkopfhörer helfen Kindern, die geräuschempfindlich sind, sich in einer lauten Umgebung wohl zu fühlen.
3. Den Berührungssinn anregen
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Den ganzen Körper spüren: wirf alle Kissen, Decken, Matratzen und Matten auf einen großen Berg, durch den sich die Kinder durchbewegen müssen.
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Laub-, Heu- oder Kastanienbäder, Sandkiste, Schaum und Niveacreme: diese Materialien lassen Kinder, die taktile Reize suchen, ihren Körper besser spüren. Wenn die Bedingungen passen, dürfen sich die Kinder dabei fast nackt ausziehen und wirklich den ganzen Körper im material baden.
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Tastspiele: Hier geht es nicht nur um das reine Spüren, sondern um das Erkennen von taktilen reizen. Lass die Kinder verschiedene Materialien wie Stoffe, Steine oder Federn ertasten. Im Alltag kann man z.B. Besteck oder Socken sortieren ohne zu schauen.
Grundsatz: nie gegen den Willen des Kindes
Möchte ein Kind nicht mitmachen, sich nicht ausziehen, bestimmte Materialien nicht berühren, kann das ein Zeichen für eine bestimmte sensorische Integrationsstörung sein. Überrede oder zwinge das Kind auf keinen Fall, sich "zusammenzureißen" und das Material doch zu berühren. Sinneswahrnehmung ist sehr subjektiv und jeder von uns nimmt die Welt anders wahr. Am deutlichsten zeigt dir das diese alltägliche Situation: Bist du schon einmal mit 3 Erwachsenem in einem Auto gefahren und die Temperatur oder die Lautstärke der Musik ist zum Thema geworden? Dann weißt du, dass wir alle unterschiedlich empfindlich für Sinnesreize sind. Was für das eine Kind passt, kann für ein anderes ungeeignet sein.
Beobachte die Kinder genau: Welche Aktivitäten ziehen sie an? Welche meiden sie? Probiere verschiedene Angebote aus und beobachte, wie sie reagieren.
Normales sensorisches Bedürfnis oder Reizsuche?
Um das Kind optimal zu unterstützen, ist eine sachkundige Einschätzung nötig, ob das Bedürfnis des Kindes nach verstärktem sensorischen Input noch im Rahmen des Normalen ist oder ob es sich schon um eine auffällige Reizsuche handelt, die das Kind in seiner Alltagsbewältigung behindert.
Die Entscheidung , ob normal oder auffällig, kannst du recht zuverlässig auch ohne umfassende SI-Ausbildung treffen, indem du das Kind genau beobachtest. Ziel ist zu erkennen, ob das Kind geradezu getrieben wirkt, sich diese Reize zu suchen. Dies wäre ein eindeutiger Hinweis in Richtung Auffälligkeit und eine eindeutige Empfehlung für eine Abklärung durch eine:n ASI-zertifizierte:n Ergotherapeut:in.
Fazit
Wenn du die sensorischen Grundbedürfnisse der Kinder verstehst, kannst du ihren Alltag so gestalten, dass sie sich wohler fühlen – und du als Pädagog:in oder Therapeut:in, die das Kind betreut/behandelt, wahrscheinlich auch! Probiere die vorgeschlagene Herangehensweise aus und beobachte, wie die Kinder aufblühen!
Hast du Fragen oder eigene Erfahrungen zu diesem Thema? Schreib gern einen Kommentar und lass uns darüber sprechen!
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